3. Corona-Welle droht in Vietnam
Vor allem in Nord- und Zentralvietnam immer mehr Infektionen
Hanoi, 9. Mai 2021. Vietnam kämpft derzeit gegen eine anflauende dritte Corona-Welle – wenn auch auf einem viel niedrigerem Niveau als die Länder im Westen oder derzeit gerade Indien: Über ein Jahr lang war das kommunistische Land mit sehr geringen Fallzahlen durch die Pandemie gesegelt, nun aber häufen sich in immer mehr Kommunen vor allem in Nord- und Mittelvietnam sowie in Ho-Chi-Minh-Stadt die Corona-Fälle. Die Regierung unter Premier Pham Minh Chinh (KP) ist in höchster Alarmbereitschaft, verschärft allerorten die Quarantäne, Geschäftsschließungen und Grenzkontrollen, um die Lage im Griff zu behalten.
Bei Inzidenz-0-Strategie sind selbst geringe Fallzahlen ein Problem
In absoluten Zahlen mag die Corona-Statistik der Johns-Hopkins-Universität für Vietnam aus europäischer Sicht marginal wirken: Gestern meldete das Land reichlich 100 Neuinfektionen. Damit erhöhte sich die Zahl der entdeckten Corona-Infizierten seit Beginn der Pandemie auf 3245, bei insgesamt nur 35 Corona-Toten. Das mag im Vergleich zu den Millionen Infizierten und Toten anderswo nahezu problemfrei anmuten.
Strikter Abschottungskurs, junge Bevölkerung
Allerdings fuhr Vietnam von Anfang an eine andere Strategie als die meisten westlichen Länder: Die Führung in Hanoi verhängte beizeiten einen sehr strengen Lockdown, schloss die Grenzen zum Ausland, legte den Binnenverkehr lahm und ordnete ein sehr strenges Quarantäne-Regime an: Kontaktpersonen erster Ordnung wurden oft in zentrale Quarantäne-Lager eingewiesen, auch riegelten die örtlichen Staatsorgane ganze Stadtviertel oder Dörfer mit bewachten Zäunen ab, wenn auch dort auch nur einzelte Corona-Fälle entdeckt wurden. Zudem halfen auch andere Faktoren: Der vietnamesische Altersdurchschnitt liegt bei rund 30 Jahren (Deutschland: 42,6 Jahre), was zur geringen Zahl schwerer Corona-Verläufe beigetragen hat. Zudem gibt es viele Indizien, dass Corona die Kälte mag – zumindest im Süden Vietnams fällt das Thermometer selten unter 25 Grad.
Krankenhäuser wären Infektionswellen wie im Westen womöglich nicht gewachsen
Die Regierung hatte gute Gründe, auf einen Inzidenz-0-Kurs zu setzen: Dadurch blieb dem Gesundheitssystem von Vietnam (bisher) eine extreme Stressprobe wie die in vielen westlichen Ländern erspart. Der Punkt ist: Zwar gibt es in Großstädten wie Hanoi, Saigon oder Danang durchaus ein paar moderne Krankenhäuser – die Gesundheitsversorgung in den Provinzen hat aber längst nicht diesen Stand. Zudem hat Vietnam nur beschränkten Zugriff auf Anti-Corona-Impfstoff, vor allem von Astra-Seneca. Die eigenentwickelten Vakzine sind wohl frühestens im Herbst einsatzbereit. Bisher sind etwa 300.000 von rund 96 Millionen Vietnamesen geimpft – insbesondere medizinisches Personal.
Diffusion über die grüne Grenze
Umso beunruhigter ist die KP-Führung in Hanoi nun, da in immer mehr Kommunen Corona-Brutherde offenbaren. Die Regierung macht dafür vor allem Auslandsvietnamesen, teils aber auch Ausländer verantwortlich, die illegal über die grünen Grenzen von Laos, Kambodscha und China nach Vietnam diffundieren. Dabei handelt es oft um Menschen, die zunächst in Nachbarländern relativ gute Jobs gefunden hatten, wegen der Corona-Krise aber arbeitslos wurden und nun nach Hause zurück wollen. Auch feiert Vietnam am 30. April den Tag des Sieges im Krieg gegen die Amerikaner und koppelt das meist mit dem 1. Mai zu einem langen Festwochenende, das traditionell viele in der Ferne lebende Vietnamesen zurück zu ihren Familien zieht. Um die obligate Quarantäne in Lagern zu umgehen, versuchen seit Wochen und Monaten aber immer mehr Auslandsvietnamesen, durch den Dschungel, über Flüsse und Pfade illegal in ihre Heimat zurückzukehren.
Neustart für Auslandstourismus verschoben
Angesichts der jüngsten Entwicklung ist auch keine Rede mehr von der vorsichtigen Grenz-Wiederöffnung für ausländische Touristen, über die die Verantwortlichen in Vietnam noch vor zwei Monaten diskutiert hatten. Ursprünglich war angedacht gewesen, vollständig geimpfte Ausländer mit elektronischen Impfpass bei stark verkürzter Quarantäne und mit zwei Tests ab April wieder ins Land zu lassen. Dieses Projekt dürfte sich nun wohl eine ganze Weile verschieben.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: VTV News, Johns-Hopkins-Universität u.a.