Vietnam fährt nach Corona wieder hoch

Vietnam fährt nach Corona wieder hoch

Mai 2, 2020 Aus Von Heiko
Forscher am US-Seuchenkontrollzentrum CDC haben dieses 3D-Modell des neuen Corona-Virus (2019nCoV) entworfen, das eine schwere Lungenkrankheit auslösen kann. Illustration: CDC/ Alissa Eckert, MS; Dan Higgins, MAMS, Lizenz: Public Domain, https://phil.cdc.gov/Details.aspx?pid=23312 / Wikipedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2019-nCoV-CDC-23312.png

Forscher am US-Seuchenkontrollzentrum CDC haben dieses 3D-Modell des neuen Corona-Virus (2019nCoV) entworfen, das eine schwere Lungenkrankheit auslösen kann. Illustration: CDC/ Alissa Eckert, MS; Dan Higgins, MAMS, Lizenz: Public Domain, https://phil.cdc.gov/Details.aspx?pid=23312 / Wikipedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2019-nCoV-CDC-23312.png

Nur 270 Infizierte und keine Toten: Taugt Vietnams Krisenmanagement als Vorbild für Europa?

Hanoi, 2. Mai 2020. Nach zwei Wochen fast ohne Corona-Neuinfizierte fährt Vietnam sein öffentliches Leben langsam wieder hoch. Bis heute ist es bei 270 Infizierten geblieben – und im Land gab es laut offiziellen Angaben auch keinerlei Covid-19-Tote. Aber woran liegt es, dass ein aufstrebendes Entwicklungsland mit China als Nachbarn zwei Pandemie-Wellen so moderat weggesteckt hat?

Keine Einzelmaßnahme war einzigartig

Für sich betrachtet, ist keine der Regierungsanordnungen einzigartig gewesen: soziale Distanz, Maskenpflicht und Schulpausen haben auch viele andere Länder angeordnet und kamen doch auf viel höhere Krankenstände und Tote. Und eigentlich gab es auch Faktoren, die die Pandemie hätten begünstigen müssen: In Vietnam leben oft drei bis vier Generationen dicht gedrängt unter einem Dach und auch sonst ist soziale Distanz im Land ein Fremdwort. Vermutlich war es letztlich ein Zusammenspiel aus teils sehr restriktiven Quarantäne-Anordnungen, Klimavorteilen, Gewohnheiten der Menschen und wohl auch etwa Glück.

Corona erreichte Vietnam kurz vor dem Tet-Fest. Bereits Anfang Februar 2020 war wie hier in Ho-Chi-Minh-Stadt die Effekte der Gegenmaßnahmen zu sehen: Wo sich sonst Tausende Mopeds und Autos enlangwälzen, herrschte fast gähnende Leere auf den Straßen des ehemaligen Saigon. Foto: Heiko Weckbrodt

Corona erreichte Vietnam kurz vor dem Tet-Fest. Bereits Anfang Februar 2020 war wie hier in Ho-Chi-Minh-Stadt die Effekte der Gegenmaßnahmen zu sehen: Wo sich sonst Tausende Mopeds und Autos enlangwälzen, herrschte fast gähnende Leere auf den Straßen des ehemaligen Saigon. Foto: Heiko Weckbrodt

Virus nahte gemeinsam mit dem Tet-Fest

Denn als Corona Ende Januar 2020 von China her Vietnam erreichte, war bereits das Tet-Fest nahe. Rund um dieses wichtigste Fest im Jahr fährt traditionell ein bis zwei Wochen lang nahezu das ganze öffentliche Leben in Vietnam ohnehin herunter: Behörden schließen, Schulen und Unis ebenso und auch ein Großteil der Betriebe. Vietnams kommunistischer Premier Nguyen Xuan Phuc verlängerte angesichts der nahenden Pandemie per Direktive diese Tet-Ferien, so dass der sonst übliche große Rückreiseverkehr gar nicht erst einsetzte. Zugleich verhängten die regionalen Volkskomitees – insbesondere in den Provinzen nahe der chinesischen Grenze – teils über ganze Dörfer und Stadtviertel eine totale Quarantäne: keiner kam rein oder raus.

In der ersten Welle blieb es bei 16 Infizierten – genauso viel wie damals in Deutschland

Das war wohl der Hauptgrund, warum Vietnam bis Anfang März bei 16 Infizierten – wie damals auch Deutschland – verharrte. Die Grenze zu China konnte Hanoi allerdings nicht dichtmachen: Dem Vernehmen nach gab es einen geheimen Vertrag mit Peking, der dies untersagte. Von der Existenz dieses Vertrages erfuhren die Menschen in Vietnam erst durch die Krise. Dies verstärkte übrigens die ohnehin schwelenden anti-chinesischen Ressentiments in der Bevölkerung weiter: Obwohl chinesische Touristen seit Jahren eine wichtige Einnahmequelle für den vietnamesischen Tourismus sind, wurden sie nach dem Covid19-Ausbruch teils wie Parias behandelt.

Anti-Corona-
Händewasch-Lied
us Vietnam:

Poppige Anti-Corona-Propaganda

Parallel dazu fuhr die offizielle Agitation-Maschine hoch: Überall wurden Corona-Warnplakate aufgehängt, das Gesundheitsministerium veröffentlichte einen auch international erfolgreichen Händewasch-Pop-Song. Zudem propagierte die Regierung soziale Distanz – letzteres allerdings eher erfolglos, die Vietnamesen sind Nähe gewöhnt, dichte Menschenansammlungen waren weiter oft zu sehen. Dennoch: Die kommunistische Führung schien die Seuche halbwegs im Griff zu haben.

Als Prophylaxe haben Hotels diesen Anti-Corona-Trunk in Vietnam feilgeboren. Foto: heiko Weckbrodt

Als Prophylaxe haben Hotels diesen Anti-Corona-Trunk in Vietnam feilgeboren. Foto: heiko Weckbrodt

Zweite Welle kam aus Europa mit Heimkehrern und Touristen

Ab dem 8. März änderte sich das Bild: Plötzlich schleppten Vietnamesen aus Europa und europäische Touristen eine zweite Welle von Corona-Viren ins Land ein. Diesmal reagierte Nguyen Xuan Phuc restriktiver und fuhr schließlich per „Direktive 16“ weitere Sektoren des öffentlichen Lebens und den Reiseverkehr herunter: Binnenflüge und Fernbus-Linien wurden drastisch eingeschränkt, schrittweise auch die Restaurants, Garküchen und Läden vor allem in Großstädten wie Ho-Chi-Minh-Stadt (HCMC), Hanoi und Da Nang geschlossen. Europäer bekamen keine Visa mehr, Vietnam Airlines stellte die Flugverbindungen nach Europa ein. Schließlich durften nur noch im Ausland lebende Vietnamesen, Diplomaten und in Vietnam tätige Ausländer einreisen, mussten aber eine zweiwöchige Quarantäne durchlaufen. Konkret hieß das: Ein Großteil der Einreisenden mussten zwei Wochen oder noch länger in abgeschirmten Militärlagern mit Stacheldrahtsicherung und teils riesigen Sälen mit Doppelstockbetten ausharren.

Wie hier in Phan Thiet hängten die Behörden an vielen Orten Handwasch-Plakate für den Corona-Schutz auf. Foto: Heiko Weckbrodt

Wie hier in Phan Thiet hängten die Behörden an vielen Orten Handwasch-Plakate für den Corona-Schutz auf. Foto: Heiko Weckbrodt

Eigenes Covid19-Testkit entwickelt

Derweil fuhr Vietnam baute seine Mund- und Schutzmaskenproduktion aus, entwickelte einen eigenen Corona-Test und Roboter für die Versorgung von Quarantäne-Kranken. Zudem bemühten sich die Behörden, die Kontakte jedes einzelnen Covid19-Kranken zu ermitteln, zum Beispiel auch durch Fernsehansagen mit konkreten Namen, Orten und Zeiten.

Entspannung seit Mitte April

Seit etwa Mitte April stagnieren die Infizierten-Zahlen in Vietnam, auch bauten Polizei und Armee die Sperren vor mehreren Quantäne-Dörfern und -Vierteln ab. Die Regierung hat das Land in mehrstufige Risikozonen eingeteilt, wobei die Distanzgebote und Ladenschließungen zuerst in den Zonen der niedrigsten Stufe aufgehoben werden. Auch erlaubt sie schrittweise wieder Binnenflüge und Fernbusse zwischen den Großstädten, öffnet die Unis und Schulen. Auch einige Hotels haben inzwischen wieder geöffnet – allerdings nur für Inländer.

Fazit: 4 Hauptgründe für Corona-Eindämmung wahrscheinlich

Sicher werden künftig wissenschaftliche Studien im Ländervergleich herausarbeiten, was wirklich gegen die Corona-Pandemie geholfen hat. Im Falle Vietnams kann man zumindest die Vermutung anstellen, dass der günstige Verlauf mit wenigen Kranken und ohne Toten möglicherweise vier Hauptursachen hatte:

  1. Vietnam befand sich durch das Tet-Fest ohnehin im Ruhemodus, als die erste Corona-Welle aus China einschwappte.
  2. Die Vietnamesen sind es seit Jahren gewohnt, Masken zu tragen.
  3. Die Regierung hat schnell Reisen innerhalb Vietnams unterbunden.
  4. Möglicherweise hat auch das heiße Klima in Vietnam (im Südteil kaum unter 30 Grad) geholfen. Das ist aber nur eine These, die sich auf den bekannten Verlauf vieler Virus-Grippen sowie neuere Untersuchungen stützt, die auf eine starke Ultraviolett-Strahlenempfindlichkeit der Corona-Viren hinweisen.

Auch andere Maßnahmen mögen im Zusammenspiel geholfen haben, waren aber keineswegs einzigartig. Ob allerdings zitronengrashaltige Limonaden, wie vielerorts in Vietnam als Corona-Prophylaxe angepriesen, wirklich viel beigetragen haben, darf man leicht bezweifeln.

Nicht 1 zu 1 auf Europa übertragbar

Als Blaupause dürfte das vietnamesische Modell zumindest 1:1 kaum auf Europa übertragbar sein. Auch ist es wohl nicht für Länder geeignet, die bereits Tausende Infizierte haben: Stacheldrahtumgebene Quarantäne-Lager wie in Vietnam würden in Deutschland zweifellos auf heftige Gegenwehr stoßen. Zudem würde die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) detaillierte Fernsehdurchsagen über Infizierte und deren Kontakte unmöglich machen. Auch ist es in Mitteleuropa nun mal kälter als in Tropennähe. Vor allem aber liegt Deutschland im Herzen eines dicht besiedelten Kontinents mit großer Reisefreizügigkeit innerhalb des Schengenraumes und hat Bürger, die als Reiseweltmeister gelten – alles begünstigend, um ein Virus schnell quer über den Kontinent zu verbreiten.

Masken, strikte Quarantäne und Ortsbeschränkungen helfen offensichtlich

Als Optionen für die nächste Pandemie könnte Deutschland aber durchaus ein paar vietnamesische Pfade erwägen. Dazu zählen Maskenpflicht (so unbeliebt Masken hierzulande auch sind), konsequente Quarantäne-Regelungen und die schnelle Abriegelung allen Reiseverkehrs in das Land und vor allem innerhalb des Landes. Darauf deuten auch die Erfahrungen aus China hin, wo die Kommunisten bekanntlich mit Wuhan eine ganze Millionenstadt abriegelten.

Autor: Heiko Weckbrodt

Quellen: Eigene Vor-Ort-Recherchen, VTV News, Johns-Hopkins-University, DW u.a.