„Deutschland ist meine Chance!“
Der leergefegte Arbeitsmarkt lässt Dresdner Hoteliers und Wirte in Vietnam nach Fachkräften suchen – und die bezahlen sogar selbst dafür.
Dresden, 4. Juli 2019. Weil sich immer weniger Einheimische finden, die in der Pflege, der Gastronomie und in anderen eher mager bezahlten Berufen arbeiten mögen, schauen sich viele Dresdner Unternehmen im fernen Vietnam nach Nachwuchs um. Denn Vietnamesen gelten als fleißig, bildungsorientiert und assimilationswillig – zumindest nach außen. Private Bildungswerke wie die „WBS Training“ aus Berlin oder die die DPFA-Akademie aus Dresden haben sich darauf spezialisiert, den Hoteliers, Wirten, Kliniken und Pflegedienst-Betreibern möglichst sofort einsetzbare Fachkräfte heran zu organisieren und deutschlandkonform zu schulen. Die ersten sieben jungen Vietnamesen aus diesem Programm sind nun in Dresden eingetroffen. Sie alle haben übrigens all die Schulungen und Flüge selbst bezahlt – auf Pump in der Familie.
Kein Job nach der Volksarmee
Einer von ihnen ist Quang. Als er seine Zeit in der Volksarmee abgeleistet hatte, erging es ihm wie so vielen jungen Menschen in Vietnam: „Ich habe ewig keinen Job gefunden“, erzählt der inzwischen 28-Jährige. „Dabei hatte ich sogar Physik studiert, wenn auch nicht bis zum Ende – aber keine Chance.“ Nach langer Suche konnte der Naturwissenschaftler in spe schließlich doch noch eine Arbeit ergattern: in einem Restaurant in Ha Noi. Und er fand Gefallen an dieser Welt der Nudelsuppen, knackigen Gewürze und weichgekochten Enten. Ein Freund setzte ihm dann diese Idee in den Kopf: „Sammle doch mehr internationale Erfahrungen, geh nach Deutschland!“
Schul- und Flugkosten in der Familie zusammengekratzt
Und so kam es: Quang borgte sich ein paar Tausend Euro in der Verwandtschaft zusammen, absolvierte beim WBS-Ableger in Vietnam die geforderten Vorbereitungskurse in deutscher Sprache und Kultur, eine Basisausbildung, investierte viel Zeit, Nerven und Motivationsschreiben in ein Visum nach Deutschland. Schließlich war es soweit: Zusammen mit drei Dutzend anderen jungen Vietnamesen stieg er in eine Maschine gen Europa. Nach der Ankunft wurde die Gruppe geteilt. Einige kamen nach Schwerin zur weiteren Ausbildung, andere nach Berlin, sieben – darunter Quang – nach Dresden. Seine Vision: „Ich will Hotelfachmann lernen und mir hier eine neue Zukunft aufbauen.“
Ähnlich sehen das der 22-jährige Tuan und die fünf anderen jungen Vietnamesen, die nun in Dresden eine neue Gastro-Karriere starten wollen. „Mein Bruder, der bei diesem Programm schon dabei war, hat mir unbedingt zugeraten, Erfahrungen in Europa zu sammeln“, erzählt Tuan. Er ist überzeugt: „Deutschland ist meine Chance!“ Auch für ihn hat die Verwandtschaft im Vietnam die letzten Dongs und Euros zusammengekratzt, um Vorbereitungskurse und Flug zu finanzieren.
Vietnams Eltern geben alles für die Bildung der Kinder
„Viele machen das so“, sagt Geschäftsführer Frank Stein vom privaten Bildungsunternehmen „WBS“ aus Berlin, das Quang, Tuan und die anderen jungen Vietnamesen auf ihrem langen Weg von Ha Noi, Da Nang und Ho-Chi-Minh-Stadt bis nach Sachsen begleitet hat. „Bildung gilt in Vietnam als sehr hohes Gut: Die Eltern geben alles, damit die Kinder eine exzellente Ausbildung bekommen und ein besseres Leben haben als sie.“ Und wenn sich für die Jungen gar eine Chance in Deutschland eröffnet, legen eben alle in der Verwandtschaft zusammen.
Entsprechend stark ist aber auch der Druck, der auf den jungen Einwanderern lastet. Sie müssen es trotz der großen Sprachbarrieren und erheblichen kulturellen Unterschiede im Westen „packen“. Ein Scheitern kommt schon wegen der großen Opfer, die die Familie für sie erbracht hat, nicht in Frage. Ganz abgesehen davon erwartet jeder Verwandte bis zum letzten Großonkel, dass die Exilanten irgendwann anfangen, die ganze Familie mit Geld und Geschenken aus Deutschland zu beehren.
Nur ganz wenige werfen die Flinte ins Reisfeld
Da will kaum einer kapitulieren. „Die Abbrecher-Quote bei uns liegt bei nur 1,7 Prozent“, erzählt Frank Stein von der WBS. Zum Vergleich: Frühere Programme, mit denen die sächsische Wirtschaft Fachkräfte aus Südeuropa zu holen suchte, gelten mittlerweile als weitgehend gescheitert. „Bei den Griechen und Spaniern lag die Abbrecherquote um die 80 Prozent“, erzählt Sprecher Lars Fiehler von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden. „Da sind nur ganz wenige dageblieben. Die meisten konnten sich nicht an die Lebensweise, die Mentalität, das Essen und Wetter in Deutschland gewöhnen.“
„Auch die Arbeitgeber müssen mal aus der Komfortzone herauskommen“
Dagegen haben sich in Ostdeutschland seit den ersten DDR-Gastarbeitern bereits Zehntausende Vietnamesen integriert: als selbstständige Obsthändler, als Nagelstudio-Betreiber, Pfleger, Gastronomen, in technischen Berufen, aber durch die jüngeren Transferprogramme privater Bildungswerke wie WBS oder DPFA. Obwohl auch viele junge Ostasiaten so ihre Probleme haben, sich an das kalte Deutschland mit seinen „laschen“ Gewürzen, dem Ordnungswahn und den gefährlich schnellen Autos zu gewöhnen: Der Fachkräfte-Zufluss aus dem Land von Onkel Ho gilt als eines der erfolgreicheren Programme. „Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht“, beteuert Geschäftsführer Jeffrey Pötzsch von der Elbezeit GmbH, die für die Gastronomie auf den Elbschiffen sorgt und beim WBS-Programm mitmacht. „Es bringt wenig, sich jahrelang nur über den wachsenden Fachkräftemangel zu ärgern. Da müssen auch die Arbeitgeber mal aus der Komfortzone herauskommen, selbst aktiv werden und sich eben auch mal in Vietnam umschauen.“ Und was mit Vietnam funktioniert, könnte bald Schule in ganz Asien machen: „Wir leiern gerade ein ähnliches Programm mit Südkorea an“, verrät IHK-Sprecher Fiehler.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Vor-Ort-Recherchen, IHK Dresden, WBS, Oiger-Archiv