Corona schmiedet zusammen
Statt für Devisen nähen die Dresdner Vietnamesinnen jetzt gratis für ihre Wahlheimat. Durch ihre virtuelle Masken-Fabrik sind sie nun enger vernetzt als früher.
Dresden, 27. April 2020. Die Corona-Krise schweißt die vietnamesische Gemeinde in Dresden enger zusammen: Um ihrer Wahlheimat zu helfen, nähen sie während der Ausgangssperre gemeinsam Masken und spenden sie. Auch wenn all dies auf Abstand und – wie in Vietnam nicht anders üblich – maskiert geschieht: Die Solidaritätsaktion bringt plötzlich viele zusammen, die einander sonst nur sporadisch sehen.
Restaurants und Läden sind zu – endlich mehr Zeit füreinander
„Normalerweise führen wir Restaurants, schneidern oder verkaufen Gemüse. Unsere Arbeitszeiten passen schlecht zueinander, um sich zu treffen“, erklärt Nguyen Viet Anh, der normalerweise in einer Dresdner Zeitarbeitsfirma HTD als technischer Assistent arbeitet, während der Corona-Pandemie aber bei den Maskenspenden mithilft. „Jetzt aber bringt uns unsere Solidaritätsaktion zusammen. Die Restaurants mussten schließen und viele Geschäfte auch. Nun können wir gemeinsam unserer zweiten Heimatstadt Dresden helfen – gemeinsam.“
Deutschland ist zum Teil der Familie geworden
Cao Then Hung, der zwischen den vielen kleinen Tanz-, Frauen-, Veteranen- und anderen Vietnamesen-Klubs in Dresden als eine Art Kontaktmann hin und her flitzt, spinnt den Gedanken weiter: „Das ist für uns eine ganz wichtige Tradition: Wir helfen einander.“ Diese oft sehr aufopferungsvolle Hilfsbereitschaft fokussieren die Vietnamesen zwar vor allem auf ihre weitverzweigten Familien. Doch dieser Impuls geht häufig auch über Blutsbande hinaus. Viele aus der vietnamesischen Gemeinde leben schon seit Jahrzehnten hier. Nicht wenige nähten einst für die devisenhungrige DDR in staatlichen Textilbetrieben Exportklamotten, bauten sich dann nach Wende hier ein neues Leben auf – und für sie sind Dresden und Deutschland Teile ihrer Familie geworden.
Gerade jetzt, da wegen Corona die Masken und andere medizinische Hilfsgüter knapp sind, wollen die Vietnamesen ihrer zweiten Heimat etwas zurückgeben: Größtenteils in Heimarbeit nähen sie seit etwa einem Monat Tag für Tag Masken. Über 10.000 davon haben sie inzwischen gratis an Krankenhäuser, Altenheime und andere Institutionen in der Stadt verteilt.
„Ich bin 1988 als Vertragsarbeiterin in die DDR gekommen und habe in einer Schokoladenfabrik bei Zittau gearbeitet“, erzählt beispielsweise Nguyen Thi Bich Ngoc. „Nach der Wende war ich zeitweise Hilfsschwester in der Medak, hab mich dann aber mit einem Getränkehandel selbstständig gemacht.“ Als die Corona-Ausgangssperre kam, hat sie den Laden zugemacht. „Als ich gehört habe, dass Unterstützung beim Maskennähen gebraucht wird, war für mich klar, dass ich da mithelfe.“
Das letzte Mal vor 30 Jahren an der Nähmaschine gesessen
Seitdem näht sie in der Änderungsschneiderei von Duong Thu Huong an der Reichenbachstraße nonstopp Masken. Gemeinsam mit anderen aus Vietnam stammenden Dresdnerinnen hat sie ein Team gebildet. Auf etwa 100 Masken pro Tag kommt der kleine Trupp inzwischen. Auch Männer sind dabei. Sie erledigen in dieser virtuellen Masken-Fabrik aber eher die Hilfsarbeiten. Die Hauptarbeit machen die Frauen. „Zu DDR-Zeiten haben wir alle viel genäht“, erinnert sich Ngoc. „Aber dann habe ich 30 Jahre lang an keine Nähmaschine mehr gesessen. Da muss ich mich erst mal wieder daran gewöhnen.“
Auch Vo Thien Nga kam einst als Vertragsarbeiterin nach Sachsen. Sie montierte ab 1983 bis zum Untergang des Pentagon-Kombinats in Dresden Kameras, die der DDR „harte Währung“ einbrachten. Nach der Wiedervereinigung blieb Nga hier. Heute fühlt sie sich ihrer zweiten und oft so kühlen Heimat eng verbunden. „Ich habe hier viele Freunde in Krankenhäusern und in der Sozialhilfe“, sagt sie. „Da habe ich schnell mitbekommen, dass es zuwenige Masken für die Corona-Zeit gab.“ Und so rief sie auf Facebook zu Hilfsaktionen auf, stellt den Kontakt zwischen Hobby-Näherinnen und Stoffspendern her. Andere im Land kamen auf ähnliche Ideen.
Alle möchten helfen
Inzwischen ist daraus ein ganzes Netzwerk aus Dutzenden, vielleicht sogar Hunderten Maskennähern und Helfern mit vietnamesischen Wurzeln. Nga ist in diesem Netz eine der Kurierinnen, die Textilien und Gummis zu den Heimarbeiterinnen bringen, fertige Masken einsammeln und zu den Spenden-Empfängern bringen. „Die allermeisten nähen die Masken zu Hause, berichtet sie. „Sie alle möchten irgendwie helfen.“
Die Reihe ließe sich noch lange fortsetzen: „Vo To Phuong ist ein Vorbild und sehr fleißig“, rattert Koordinator Cao Then Hung weitere Beispiele herunter. „Sie hat in einem Monat mehr als 1000 Masken genäht.“ Auch Pham Kim Huyen sei so eine Pionierin: Sie sei schon in Vietnam eine erfahrene Näherin gewesen und komme auf Tausende Masken. Und Nguyen Thuy Thanh müsse er immer wieder ermahnen, abends und am Wochenende auch mal Pause von der Maskennäherei zu machen, erzählt Hung.
Solidarische Aktion der vietnamesischen Community ist einmalig
Parallel zur Heim-Maskennäherei hat die vietnamesische Gemeinde Geld gesammelt, um in einer Fabrik in Hanoi eine ganze Serie professioneller Schutzmasken nach japanischem Vorbild für die sächsische Landeshauptstadt produzieren zu lassen. Auch diese Masken für Mediziner und Pfleger verteilen sie nun als Spende an Heime, Kliniken, Vereine und andere Institutionen in und um Dresden. Sowohl Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) wie auch Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) sind sehr angetan vom Engagement der vietnamesischen Dresdner: „Ich bin beeindruckt, was die vietnamesische Community ohne staatliche Hilfe über Ländergrenzen hinweg auf die Beine gestellt hat“, unterstreicht Hilbert. Und Köpping sieht das ähnlich: „Diese solidarische Aktion der vietnamesischen Community ist einmalig und erfüllt mich mit großer Dankbarkeit.“
Autor: Heiko Weckbrodt