Vom Hochzeitsmacher zum Biobauer
Jahrelang organisierte Hồ Quốc Khánh in Südvietnam aufwendige Hochzeits-Partys – heute pflegt er seine Hühner, statt sie zu bruzzeln
Binh Thuan, 29. August 2022. Heiraten ist in Vietnam eine aufwendige Sache – und selbst für arme Familie ein ehrgeiziger Statusbeweis gegenüber der Nachbar- und Verwandschaft. Feiern mit nur 25 Essern gelten als mau. Viele Hochzeits-Partys haben Hunderte, manche auch weit über 1000 Gäste.
Geldgeschenk-Übergabe am Eingang, dann Essen bis zum Abwinken
Der Ablauf ist stets der gleiche: Meist weiß umhüllte Tische und Stühle reihen sich in großen Sälen aneinander. An jedem Tisch sitzen bis zu zehn Gäste, deren Zusammensetzung sorgsam arrangiert ist. Am Eingang bilden sich anfangs lange Schlangen. Dort begrüßt das Brautpaar jeden Gast einzeln und nimmt die obligatorischen Geld- oder Goldgeschenke entgegen, die im Idealfall in Summe einen wesentlichen Teil der Kosten für die Feier decken. Wenn das junge Paar (oder oft auch schon etwas ältere Liebespaar – wie gesagt: vor zur Hochzeit ist Sparen angesagt) Glück hat, übernehmen Mama und Papa die Kosten. Dann starten die Frischvermählten oft mit einem erquicklichen Startkapital in Dong-Scheinen und Gold in die Ehe.
Ein kleiner Tipp am Rande: Gelegenheitsgäste sollten mindestens 500.000 Dong einplanen, das sind etwa 20 Euro. Da die Besucher das Geld in Umschlägen übergeben, lassen sich bescheidene Gaben einigermaßen kaschieren.
Finales Plündern gehört zur Tradition
Nach der Begrüßung nehmen die Gäste Platz und es folgen schier endlose Menüs mit Suppen, Fleischspießen, Reisschüsseln, Garnelen und so weiter. Vor und zur Schlemmerei gibt es Reden sowie – wenn die Brautpaar-Eltern etwas auf sich halten – auch Musik sowie Sängerinnen, wahlweise in Folkloretracht. Wenn die Gäste schon etwas angeheitert sind, malätrieren sie ihre Mitmenschen im späteren Verlauf gerne auch mit eigenen Karaoke-Einlagen. Erst dann werden die Lautsprecherboxen richtig bis zum Anschlag aufgedreht. Nach etwa drei Stunden wird von der Hochzeitsgesellschaft erwartet, den Saal zu räumen. Dann bricht meist ein großes Rascheln aus. Denn geschulte Hochzeitsgäste bringen eigene Tüten mit, in die sie dann die Essensreste und die Deko vom Tisch einsacken. Manche Familien zehren noch drei Tage von den erbeuteten Speisen.
Ganzer Wirtschaftskomplex hängt an den Hochzeits-Feiern
An solchen Feiern hängt eine ganze „Industrie“ in Vietnam: Für Hotels, Gaststätten und Tagungszentren ist die Vermietung ganzer Säle an Hochzeitsgesellschaften ein fest einkalkulierter Umsatzbringer – entsprechend hart waren die Einnahme-Einbrüche zu Corona-Zeiten. Gutbezahlte Dekorateure haben sich auf mehr oder minder ausgefallene Blumen- und Schmuckarrangements für derartige Partys spezialisiert. Und natürlich wollen so viele Gäste auch zackig bekocht und bedient werden.
Familienbetriebe verköstigen die Gäste
Das machen übrigens nicht unbedingt immer große Caterer oder die Hotel-Gastro. Vielmehr bekommen oft auch kleine Familienbetriebe den Zuschlag. Unternehmen wie das der Familie Hồ in der südvietnamesischen Küstenprovinz Binh Thuan zum Beispiel. Viele Jahre lang hat Sohn Hồ Quốc Khánh im Kochbetrieb der Eltern den Manager gegeben, bevor er sich der Öko-Landschaft zuwandte – in dieser Zeit ist er zum Hochzeitsparty-Profi geworden. Der 34-Jährige kennt das daran hängende Geschäft in- und auswendig.
Als Jung-Manager in den „Hochzeitsservice“ der Eltern eingestiegen
„Der Hochzeitsservice meiner Eltern heißt Tám Hân“, erzählt Khánh. „Die Firma besteht aus Vater, Mutter, meiner Schwester und mir – wobei ich inzwischen nur noch gelegentlich aushelfe und koche. Für kleinere Hochzeiten engagieren wir meist etwa fünf Aushilfskräfte auf Zeit, für größere Feiern sind es doppelt soviele.“ Kleine Feiern, das sind in Vietnam 20 Tische zu je zehn Leute, macht also rund 200 hungrige Mäuler. „Wir haben aber auch schon größere Hochzeitsfeiern mit 100 Tischen organisiert.“ Da sind dann eben gleich 1000 Gäste zu bedienen. Üblich sind dabei fünf bis sechs Gänge, manchmal auch mehr. Dazu sind immer aufmerksame Eis-Kellnerinnen einzuplanen, die Getränke verteilen und die Gläser mit – im Vergleich zu europäischen Gepflogenheiten – riesigen Eiswürfelmengen spicken. Trinkgeld für die Bedienung ist übrigens unüblich in Vietnam, die Aushilfskräfte bekommen nur ihre Pauschale vom Essenslieferanten. Die wiederum organisieren meist auch gleich die Musiker und Moderatoren für die Feier mit.
Für manch Feier geht ein kleines Vermögen drauf
Nur, um eine Vorstellung von den damit verbundenen Kosten für die Familien des Brautpaares zu bekommen: Pro Tisch zu je zehn Essern berechnen die Hồs etwa zwei bis 2,5 Millionen Dong, umgerechnet also rund 100 Euro – je nach gewähltem Menü. Da kann bei größeren Feiern schon mal ein kleines Vermögen draufgehen, wobei damit noch nicht mal in jedem Fall schon Dekorateur. Moderator, Sänger und Musiker bezahlt sind. Zur Einordnung: Ein Großteil der Vietnamesen muss mit Monatseinkommen auskommen, die umgerechnet 150 bis 400 Euro entsprechen.
„Ich wollte schon immer ein Business-Man werden“
Und weil die Einkünfte von Fischern, Lehrern oder sogar von Ärzten in Vietnam eher mager sind, betätigen sich gerade in Südvietnam viele Menschen auch unternehmerisch – teils neben dem „Hauptjob“ oder eben wie Hồ Quốc Khánh in Vollzeit. Für ihn war dieser Weg durch den Familienbetrieb der Eltern vielleicht sogar ein Stück weit vorgezeichnet: Der 1988 geborene Khánh absolvierte zunächst neun Schulklassen in seinem Heimatbezirk Hàm Thuận Bắc, ging dann drei Jahre in der zehn Kilometer entfernten Küstenstadt Phan Thiet aufs Gymnasium. Im Anschluss studierte er vier Jahre lang Betriebswirtschaftslehre an einem Uni-College in der Südmetropole Ho-Chi-Minh-Stadt alias Saigon. „Ich wollte schon immer ein Business-Man werden“, erklärt Khánh seine Studienauswahl. „Ich dachte da zum Beispiel an irgendwas in Richtung Handel oder an eine Managerkarriere.“
Manager steht auch selbst am Topf
Nach einem Intermezzo im Zeitungsvertrieb kehrte der junge Mann in seine Heimatprovinz Binh Thuan zurück und übernahm dort auf Bitten der Eltern die Geschäftsführung im Heirats-Service der Familie. „Damals war ich 26 Jahre alt und habe Bestellungen aus dem ganzen Bezirk gemanagt, erzählt er. „Ich habe aber auch selbst am Topf gestanden und Hühnchen oder Gemüse gebraten.“
Über zwei Dekaden erarbeitete sich die Familie Hồ mit diesen Diensten einen guten Ruf in der Provinz und bekam Bestellungen aus einem wachsenden Umkreis. Dann kam das Jahr 2020 und damit Corona. Im Zuge ihrer Null-Covid-Strategie Verbot die Regierung auch alle Partys. Damit brach das Familiengeschäft zusammen: Weil kaum ein Paar auf seine große Feier verzichten wollte, schoben viele die Hochzeit auf später. „Da war keinerlei Business mehr möglich“, erinnert sich Khánh. Das war der Zeitpunkt, an dem sich die Familie auf das von den Großeltern geerbte Ackerland besann. „Damals haben Papaya, Mango, Jackfrucht Guave und Kokos angepflanzt, mit der Hühnerzucht begonnen und Ställe für Rinder und Schweine gebaut.“ Die Früchte ihrer Arbeit verkaufte die Familie online an Selbstabholer – und das lief auch richtig gut.
Durch Corona-Verbote bracht Heiratsgeschäft zusammen – und Khánh entdeckte seine Liebe zum Öko-Landbau
Als die Corona-Beschränkungen der Regierung 2021 schrittweise wieder fielen, startete die Familie zwar wieder ihren Hochzeits-Service. Doch der ehemalige Party-Manager Khánh hatte inzwischen Gefallen am Dasein als Öko-Bauer gefunden. „Ich helfe meinen Eltern zwar immer noch manchmal beim Kochen, wenn sie eine richtig große Hochzeitsfeier organisieren müssen“, sagt er. „Aber ich habe in der Corona-Zeit gemerkt, wie sehr ich die Landwirtschaft und vor allem den Bio-Anbau mag.“ Seitdem träumt er viel lieber von florierenden Bio-Bauernhöfen, glücklichen Schweinchen und Hühnern als von Sechs-Gänge-Menüs, Bassboxen und Eisdamen.
Autor: Heiko Weckbrodt
Quellen: Interview Hồ Quốc Khánh, eigene Vor-Ort-Recherchen