Der Moped-Doktor

Der Moped-Doktor

April 7, 2019 Aus Von Heiko
Hoa spritzt ein Kunden-Moped ab. Seit zehn Jahren betreibt er nun schon seine Moped-Werkstatt.. Foto: Heiko Weckbrodt

Hoa spritzt ein Kunden-Moped ab. Seit zehn Jahren betreibt er nun schon seine Moped-Werkstatt.. Foto: Heiko Weckbrodt

Der 31-jährige Autodidakt Hoa kümmert sich um das Lieblings-Fortbewegungsmittel der Vietnamesen

Phan-Thiet, 4. Februar 2019. Die Werkstatttür klappt auf, Licht bricht herein. Ein moderner Zentaur schiebt sich durch den Spalt: Das Moped ist fahrunfähig, eine Dame sitzt darauf. Sie stößt sich und ihre Knäckesäge immer wieder mit den Füßen vorwärts, bis sie in der Werkstatt ausrollt. Ihre vietnamübliche Straßenrüstung hat sie anbehalten: Mit Helm, Brille, Mundschutz und Co. sieht sie aus wie eine Samurai-Ritterin der Neuzeit. Selbst bei sengender Hitze behält sie auch den langärmligen Pullover an: Die Frau von Welt will schließlich weiß bleiben.

Selbst kurz vor dem Tet-Fest noch in seiner Werkstatt

Hoa dreht sich langsam um, lässt den Wasserstrahler sinken. Der 31-Jährige weiß schon, was ihm blüht. Und schon zwitschert die Kundin den jungen Werkstattmeister mit dem Tempo eines Maschinengewehrs voll. Er grinst ab zu höflich, grimassiert, nickt. Auch wer kein Wort Vietnamesisch versteht, erahnt das Leid der jungen Dame: Ihr Moped fährt nicht mehr. Außerdem ist es dreckig. Es hat die rote Erde, die rings um Phan Thiet im Süden Vietnams allgegenwärtig ist, nahezu magisch angezogen. Das geht natürlich gerade jetzt gar nicht: Denn das Tet-Fest steht vor der Tür: Ab morgen gehört das Jahr nicht mehr dem Hund, sondern dem Schwein. Zum höchsten Fest im Jahr zieht man sich hübsch an, verspeist mehr, als man sich eigentlich leisten kann, beschenkt Kinder mit bunten Geldumschlägen, die Glück bringen sollen – dem Geber wie dem Kinde. Da fährt man nicht mit einem dreckigen Moped umher. Der Punkt ist allerdings: So kurz vor dem Neujahrsfest will in ganz Vietnam eigentlich gar keiner mehr arbeiten: Schneider, Schlüsselmeister, Minimärkte – sie alle haben schon längst die Rollläden heruntergekurbelt.

Blick in Hoas Moped-Werkstatt. Foto: Heiko Weckbrodt

Blick in Hoas Moped-Werkstatt. Foto: Heiko Weckbrodt

Reifenflicken für einen halben Euro

Aber Hoa hat eine freundliche und geduldige Seele – er wird der jungen Motorritterin helfen. Für 20.000 vietnamesische Dong wird er ihr Moped blitzeblank machen, er wird gucken, was an der Elektrik hackt, er wird für 15.000 Dong (etwa ein halber Euro) die Reifen flicken – zusammen macht das umgerechnet nur etwas mehr als einen Euro. Nach europäischen Maßstäben kann man mit solchen Preisen auf keinen grünen Zweig kommen. Aber mehr sind die Kunden hier in der Gegend um den rechteckigen Mini-Stausee am Stadtrand von Phan Thiet eben nicht bereit zu zahlen. Und trotz dieser Hungerhonorare gelten Hoa und seine Familie unter seinen Freunden sogar als recht wohlhabend: Sie haben eigenes Land an diesem trüben See. Hoa beschäftigt eine Handvoll Leute – auch wenn die meisten davon eigentlich Cousins sind, die nur aushelfen. Und seine Werkstatt ist immer voll von Kundenfahrzeugen. Über 40 Mopeds repariert und reinigt er jede Woche, schätzt er – so genau habe er das aber nie nachgezählt, gesteht er. Auf jeden Fall springe genug Geld dabei heraus, um über die Runden zu kommen.

Die Hahnenkampf-Arenen sind verwaist

Wer sich hinter der Werkstatt ein wenig umsieht, erahnt, dass Hoas Familie auch mal ganz andere Geschäfte gemacht hat: Verlassene Gruben mit Metallarretierungen und seltsamen Einläufen entpuppen sich als verwaiste Hahnenkampf-Arenen. Irgendwann habe die Regierung diese Kämpfe verboten, erzählt mir einer aus der Familie. Seitdem gluckern nur noch ein paar Hühner auf dem Hof.

„Ich liebe die Freiheit“

Warum er sich als selbstständiger Moped-Reparateur seinen eigenen Pfad eingeschlagen habe? Hoa lächelt, überlegt eine Weile. „Ich liebe die Freiheit“, antwortet er dann. Und an Mopeds habe er schon immer gern herumgeschraubt. Also habe er sich mit seiner Werkstatt selbstständig gemacht. Nein, eine Ausbildung oder einen Meisterbrief habe er dafür nicht gebraucht, sagt er auf Nachfrage: Wie so eine Honda, Yamaha oder Kawasaki von innen aussehe, wie sie funktioniere, das habe er sich alles nach dem Motto „Learning by Doing“ angeeignet. „Die meisten fahren hier japanische Modelle, die in Vietnam hergestellt wurden“, sagt er. Da steckt robuste, eher simpel gestrickte Technik drin. Ständige Weiterbildungen braucht Hoa da keine, ist er überzeugt.

Autos noch selten auf Vietnams Straßen

Seit zehn Jahren betreibt er dieses Geschäft nun schon. Dass ihm die Kunden ausgehen, muss Hoa nicht befürchten. Nicht in den nächsten Jahren zumindest: Das Moped ist das mit Abstand am weitesten verbreitete Fortbewegungsmittel im ganzen Land. Fahrräder sind aus der Mode gekommen: Nur ganz Alte und ganz Junge treten noch in die Pedale. Autos sieht man bisher auf Vietnams Straßen nur selten. Wobei sich das zweifellos in Zukunft ändern wird, wenn die wachsende Oberschicht Vietnams weiter automobil aufrüstet. Später mal auf die Reparatur von Autos umzusteigen, kann sich Hoa aber nicht vorstellen. „Viel zu kompliziert“, sagt er, wirft den Wasserstrahler wieder an, um das lahmende Gefährt seiner neuesten Kundin vom Dreck der Landstraßen zu befreien…

Autor: Heiko Weckbrodt